Nach Hanau: Überleben in Deutschland
Shownotes
Der rassistische Massenmord von Hanau wirkt noch immer nach. Tuğba Ayaz war in Hanau und hat Said Etris Hashemi getroffen. Ein Porträt und eine Reportage zugleich.
Autorin: Tuğba Ayaz Sprecherin: Dominique Barth
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Am 19. Februar 2020 lässt sich Said Etris Hashemi, 23, das Geburtsdatum seiner Mutter auf den Oberarm tätowieren. Sein Bruder Said Nesar, 21, auf beide Arme die Postleitzahl von Hanau-Kesselstadt, wo er seit seiner Geburt lebt: 63454.
Am 19. Februar 2020 lässt sich Said Etris Hashemi, 23, das Geburtsdatum seiner Mutter auf den Oberarm tätowieren. Sein Bruder Said Nesar, 21, auf beide Arme die Postleitzahl von Hanau-Kesselstadt, wo er seit seiner Geburt lebt: Danach essen sie zu Hause Pasta, es soll schnell gehen, sie wollen los in die Arena Bar. Mit Kumpels Champions League schauen, plaudern, chillen. Ein gewöhnlicher Abend in ihrer hood Kesselstadt.
Am 19. Februar 2020 lässt sich Said Etris Hashemi, 23, das Geburtsdatum seiner Mutter auf den Oberarm tätowieren. Sein Bruder Said Nesar, 21, auf beide Arme die Postleitzahl von Hanau-Kesselstadt, wo er seit seiner Geburt lebt: Während die Jungs in der Arena Bar sitzen, stürmt in der Hanauer Innenstadt ein Mann mit grüner Bomberjacke die La Votre Bar. Dort erschiesst er Kaloyan Velkov, 33, danach auf der Strasse Fatih Saraçoğlu, 34, stürmt weiter in die Midnight Shisha-Bar, wo er Sedat Gürbüz, 29, erschiesst. Er ermordet diese Menschen, weil er sie nicht für deutsch hält.
Am 19. Februar 2020 lässt sich Said Etris Hashemi, 23, das Geburtsdatum seiner Mutter auf den Oberarm tätowieren. Sein Bruder Said Nesar, 21, auf beide Arme die Postleitzahl von Hanau-Kesselstadt, wo er seit seiner Geburt lebt: Dann macht sich der Täter auf nach Kesselstadt. Vili Viorel Păun, 22, verfolgt ihn mit dem Auto, nachdem er vergeblich versucht hatte, den Täter in der Innenstadt aufzuhalten. Auch Păun wird erschossen.
Am 19. Februar 2020 lässt sich Said Etris Hashemi, 23, das Geburtsdatum seiner Mutter auf den Oberarm tätowieren. Sein Bruder Said Nesar, 21, auf beide Arme die Postleitzahl von Hanau-Kesselstadt, wo er seit seiner Geburt lebt: In der Arena Bar mischt sich Musik mit dem Geplauder der Jungs und der Stimme des Fussballkommentators, als es draussen plötzlich knallt. Said Etris Hashemi sieht nach. Vor dem Eingang steht der Mann mit grüner Bomberjacke, Waffe in der Hand, ihre Blicke streifen sich. Der Mann geht zum Kiosk nebenan, Schüsse, Hashemi hastet zurück in die Bar, die Jungs schrecken hoch, drücken sich hinter eine Säule, der Notausgang ist verschlossen.
Am 19. Februar 2020 lässt sich Said Etris Hashemi, 23, das Geburtsdatum seiner Mutter auf den Oberarm tätowieren. Sein Bruder Said Nesar, 21, auf beide Arme die Postleitzahl von Hanau-Kesselstadt, wo er seit seiner Geburt lebt: Der Täter kommt in die Bar, schiesst. Er tritt hinter die Säule, schiesst weiter. Panik, Schüsse, Keuchen – wer kann, sucht hinter der Theke Schutz. Schüsse, Schüsse, Schüsse, sechzehn insgesamt.
Am 19. Februar 2020 lässt sich Said Etris Hashemi, 23, das Geburtsdatum seiner Mutter auf den Oberarm tätowieren. Sein Bruder Said Nesar, 21, auf beide Arme die Postleitzahl von Hanau-Kesselstadt, wo er seit seiner Geburt lebt: Stille.
Am 19. Februar 2020 lässt sich Said Etris Hashemi, 23, das Geburtsdatum seiner Mutter auf den Oberarm tätowieren. Sein Bruder Said Nesar, 21, auf beide Arme die Postleitzahl von Hanau-Kesselstadt, wo er seit seiner Geburt lebt: Said Etris Hashemi spürt Schmerzen, greift nach seinem Handy, aber bei der Polizei geht niemand ran. Irgendwann antwortet der Notruf, Hashemi murmelt, sein Hals blutet, er drückt ein herumliegendes T-Shirt auf die Wunde, Keuchen, sein Bruder ringt um Atem. Das Keuchen wird Said Etris Hashemi in seinen Albträumen verfolgen.
Am 19. Februar 2020 lässt sich Said Etris Hashemi, 23, das Geburtsdatum seiner Mutter auf den Oberarm tätowieren. Sein Bruder Said Nesar, 21, auf beide Arme die Postleitzahl von Hanau-Kesselstadt, wo er seit seiner Geburt lebt: Er rappelt sich auf, Blut überall, Hamza Kurtović, 22, liegt da, neben ihm Hashemis Bruder Said Nesar, beide bewegen sich nicht. Er taumelt hinaus. Im Kiosk nebenan liegen Gökhan Gültekin, 37; Mercedes Kierpacz, 35; Ferhat Unvar, 23; alle erschossen.
Am 19. Februar 2020 lässt sich Said Etris Hashemi, 23, das Geburtsdatum seiner Mutter auf den Oberarm tätowieren. Sein Bruder Said Nesar, 21, auf beide Arme die Postleitzahl von Hanau-Kesselstadt, wo er seit seiner Geburt lebt: Hashemi kauert mit Schmerzen auf dem Parkplatz, wo ihn die Polizei findet. Er atmet schwer.
Am 19. Februar 2020 lässt sich Said Etris Hashemi, 23, das Geburtsdatum seiner Mutter auf den Oberarm tätowieren. Sein Bruder Said Nesar, 21, auf beide Arme die Postleitzahl von Hanau-Kesselstadt, wo er seit seiner Geburt lebt: Für Hashemi bleibt in dieser Nacht die Zeit stehen.
Am 19. Februar 2020 lässt sich Said Etris Hashemi, 23, das Geburtsdatum seiner Mutter auf den Oberarm tätowieren. Sein Bruder Said Nesar, 21, auf beide Arme die Postleitzahl von Hanau-Kesselstadt, wo er seit seiner Geburt lebt: Intensivstation, künstliches Koma hüllen ihn in ein Vakuum.
Zwei Wochen später verlässt er das Krankenhaus. Er staunt, wie Menschen eilen, plaudern, lachen. Krass, die Welt dreht sich einfach weiter. Er löscht seine Profile in den sozialen Netzwerken. Besuch schickt er weg. Aber er weiss: Das Leben muss weitergehen, irgendwie.
Zwei Wochen später verlässt er das Krankenhaus. Er staunt, wie Menschen eilen, plaudern, lachen. Krass, die Welt dreht sich einfach weiter. Er löscht seine Profile in den sozialen Netzwerken. Besuch schickt er weg. Aber er weiss: Erinnern heisst verändern
Zwei Wochen später verlässt er das Krankenhaus. Er staunt, wie Menschen eilen, plaudern, lachen. Krass, die Welt dreht sich einfach weiter. Er löscht seine Profile in den sozialen Netzwerken. Besuch schickt er weg. Aber er weiss: Vier Jahre ist es her, dass ein Täter aus rassistischen Motiven neun Menschen in Hanau ermordete. Danach tötete er seine Mutter, schliesslich sich selbst. Vier Jahre ist es her, dass Said Etris Hashemis Bruder Said Nesar starb. Vier Jahre ist es her, dass Hashemi ein zweites Leben lebt, in das er noch immer hineinzufinden sucht.
Am Tatort in der Hanauer Innenstadt gedenkt die «Initiative 19. Februar Hanau» mit Porträtbildern und dem Slogan #saytheirnames der Verstorbenen. Unweit davon hat auch die Stadt Hanau eine Gedenktafel errichtet. Die hessische Stadt mit 100’000 Einwohnern wirkt provinziell. Gegenüber dem Tatort befindet sich das Ladenlokal der Initiative. Angehörige gründeten sie im März 2020 als einen Ort des Erinnerns. Mit dem Leitsatz: Erinnern heisst verändern. Inzwischen steht die Initiative für Erinnerungskultur, Aufklärung, Widerstand gegen Rechtsextremismus.
Über dem Vordach des Lokals steht in weissen Buchstaben #saytheirnames. Beim Eingang stapeln sich Flyer mit Slogans und Veranstaltungen, auf einer Kommode steht ein Megafon. Es gibt Tische, Stühle, Sofas. Als ich drinnen Bilder der neun Opfer anschaue, wo Blumen und Kerzen dazugestellt sind, sagt eine tiefe Stimme: «Hallo.»
Said Etris Hashemi, 27, ist knapp zwei Meter gross, hat einen festen Händedruck, wirkt herzlich, bedacht. Er ist schwarz gekleidet, trägt über seinem Shirt mit Rollkragen einen beigen Pullover. Auf Brusthöhe prangt eine silberne Militärmarke mit der Gravur:
Said Etris Hashemi, 27, ist knapp zwei Meter gross, hat einen festen Händedruck, wirkt herzlich, bedacht. Er ist schwarz gekleidet, trägt über seinem Shirt mit Rollkragen einen beigen Pullover. Auf Brusthöhe prangt eine silberne Militärmarke mit der Gravur: Said Nesar
Said Etris Hashemi, 27, ist knapp zwei Meter gross, hat einen festen Händedruck, wirkt herzlich, bedacht. Er ist schwarz gekleidet, trägt über seinem Shirt mit Rollkragen einen beigen Pullover. Auf Brusthöhe prangt eine silberne Militärmarke mit der Gravur: 09.06.98 – ∞
Said Etris Hashemi, 27, ist knapp zwei Meter gross, hat einen festen Händedruck, wirkt herzlich, bedacht. Er ist schwarz gekleidet, trägt über seinem Shirt mit Rollkragen einen beigen Pullover. Auf Brusthöhe prangt eine silberne Militärmarke mit der Gravur: Das Geburtsdatum seines Bruders, eingraviert für die Ewigkeit. Ein Geschenk seiner Freunde.
Said Etris Hashemi, 27, ist knapp zwei Meter gross, hat einen festen Händedruck, wirkt herzlich, bedacht. Er ist schwarz gekleidet, trägt über seinem Shirt mit Rollkragen einen beigen Pullover. Auf Brusthöhe prangt eine silberne Militärmarke mit der Gravur: An diesem Tag im März scheint die Sonne, aber Hashemi will nicht draussen sitzen. Da hätten wir keine Ruhe, sagt er, ständig würde ihn jemand ansprechen. Er schlägt das kleine Büro im hinteren Teil des Ladenlokals vor.
Said Etris Hashemi, 27, ist knapp zwei Meter gross, hat einen festen Händedruck, wirkt herzlich, bedacht. Er ist schwarz gekleidet, trägt über seinem Shirt mit Rollkragen einen beigen Pullover. Auf Brusthöhe prangt eine silberne Militärmarke mit der Gravur: Zwar ist Hashemi inzwischen in die Rolle der öffentlichen Person hineingewachsen – zwangsläufig, doch hadert er noch immer mit der Sichtbarkeit. Alle Blicke auf sich zu haben, ermüdet ihn. Er beschreibt sich als zurückhaltend.
Said Etris Hashemi, 27, ist knapp zwei Meter gross, hat einen festen Händedruck, wirkt herzlich, bedacht. Er ist schwarz gekleidet, trägt über seinem Shirt mit Rollkragen einen beigen Pullover. Auf Brusthöhe prangt eine silberne Militärmarke mit der Gravur: Das hätten auch wir sein können
Said Etris Hashemi, 27, ist knapp zwei Meter gross, hat einen festen Händedruck, wirkt herzlich, bedacht. Er ist schwarz gekleidet, trägt über seinem Shirt mit Rollkragen einen beigen Pullover. Auf Brusthöhe prangt eine silberne Militärmarke mit der Gravur: Nach dem Attentat überlegt sich Hashemi schon im Krankenhaus, wie er mit der Sichtbarkeit umgehen soll. Er legt fest, welche Fragen er Familie, Freunden, Medien beantworten will. Viele Interviewanfragen, sagt er, lehnt er bis heute ab. «Ich will Aufmerksamkeit für die Sache. Ich renne nicht herum, um Mitleid zu bekommen.»
Said Etris Hashemi, 27, ist knapp zwei Meter gross, hat einen festen Händedruck, wirkt herzlich, bedacht. Er ist schwarz gekleidet, trägt über seinem Shirt mit Rollkragen einen beigen Pullover. Auf Brusthöhe prangt eine silberne Militärmarke mit der Gravur: Über die Tatnacht spricht er in Interviews kaum. In seinem jüngst erschienenen Buch «Der Tag, an dem ich sterben sollte» erzählt er das erste Mal ausführlich davon. Er gibt rohe Details des Anschlags, des Traumas, des Kampfs mit den Behörden preis, öffnet sich persönlich.
Said Etris Hashemi, 27, ist knapp zwei Meter gross, hat einen festen Händedruck, wirkt herzlich, bedacht. Er ist schwarz gekleidet, trägt über seinem Shirt mit Rollkragen einen beigen Pullover. Auf Brusthöhe prangt eine silberne Militärmarke mit der Gravur: Hashemi erzählt auch von seiner Kindheit und Jugend, von Rassismuserfahrungen, was es bedeutet, in Deutschland mit Migrationsgeschichte aufzuwachsen. Mit dem «endlosen Gedankenstrom eines typischen Migrantenkindes», das immer beweisen will, zu «den Guten» zu gehören. Ein so verinnerlichtes Verhalten, sagt er, das er ein paar Tage vor unserem Gespräch wieder mal beobachtete.
Said Etris Hashemi, 27, ist knapp zwei Meter gross, hat einen festen Händedruck, wirkt herzlich, bedacht. Er ist schwarz gekleidet, trägt über seinem Shirt mit Rollkragen einen beigen Pullover. Auf Brusthöhe prangt eine silberne Militärmarke mit der Gravur: Er spazierte mit Kumpels den Main entlang, der eine mit Eltern aus Marokko, der andere aus der Türkei. Als eine Gruppe Rentner vorbeikam, hätten sie leiser gesprochen, sich anders bewegt.
«Das hat jeder Kanake in sich», sagt er. Danach hätten sie gelacht, einander gefragt: Warum machen wir das noch?
«Das hat jeder Kanake in sich», sagt er. Danach hätten sie gelacht, einander gefragt: «Meine Erfahrungen stehen für viele Migrakids in diesem Land. Deshalb will ich sie im Buch erzählen. Menschen ausserhalb dieser Blase sollen erfahren, womit wir zu kämpfen haben.»
Dieser Bezug ist ihm wichtig, weil der Anschlag in Hanau auch das Grundgefühl der «Migrakids» in Deutschland verändert hat. Das Land kennt eine Reihe von Anschlägen rechter Gewalt, darunter Brandanschläge auf Asylheime in den 1990er-Jahren. Doch nach Hanau, sagt Hashemi, dachten viele: «Ey, das hätten auch wir sein können. Jungs, die abends in einer Bar sitzen, so wie andere auch.»
Dieser Bezug ist ihm wichtig, weil der Anschlag in Hanau auch das Grundgefühl der «Migrakids» in Deutschland verändert hat. Das Land kennt eine Reihe von Anschlägen rechter Gewalt, darunter Brandanschläge auf Asylheime in den 1990er-Jahren. Doch nach Hanau, sagt Hashemi, dachten viele: Hashemi will nicht «der Überlebende» dieser Geschichte sein, schon gar nicht «Opfer». Seine Person, seine Arbeit bei der Initiative, sagt er, steht für mehr. Sein Schmerz sei auch der Schmerz dieser Gesellschaft.
Dieser Bezug ist ihm wichtig, weil der Anschlag in Hanau auch das Grundgefühl der «Migrakids» in Deutschland verändert hat. Das Land kennt eine Reihe von Anschlägen rechter Gewalt, darunter Brandanschläge auf Asylheime in den 1990er-Jahren. Doch nach Hanau, sagt Hashemi, dachten viele: Wie ihm begegnen? Ist Mitgefühl okay?
«Ich schätze Empathie. Doch mir ist es unangenehm, wenn Menschen weinend vor mir stehen. Und ich muss sie trösten. Das kann täglich vorkommen», sagt er. «Lieber kurz, etwa: Du bist doch der, tut mir leid! Und ich sag: Korrekt Bruder, ich küss dein Herz.»
Ihm ist aber auch bewusst, dass sich sein zweites Leben nicht vom Anschlag entkoppeln lässt. «Muss lernen, damit umzugehen», ein Satz, den Hashemi immer wieder sagt, wenn es um unverrückbare Tatsachen geht. Ein Satz, der ihn durch die vier Jahre nach dem Anschlag getragen haben muss, denn als ich ihn frage, wie er nach dem Anschlag in den Alltag gefunden habe, antwortet er: «Gar nicht. Bis heute nicht. Seit vier Jahren lebe ich im Ausnahmezustand.»
Ihm ist aber auch bewusst, dass sich sein zweites Leben nicht vom Anschlag entkoppeln lässt. «Muss lernen, damit umzugehen», ein Satz, den Hashemi immer wieder sagt, wenn es um unverrückbare Tatsachen geht. Ein Satz, der ihn durch die vier Jahre nach dem Anschlag getragen haben muss, denn als ich ihn frage, wie er nach dem Anschlag in den Alltag gefunden habe, antwortet er: Er atmet durch.
Ihm ist aber auch bewusst, dass sich sein zweites Leben nicht vom Anschlag entkoppeln lässt. «Muss lernen, damit umzugehen», ein Satz, den Hashemi immer wieder sagt, wenn es um unverrückbare Tatsachen geht. Ein Satz, der ihn durch die vier Jahre nach dem Anschlag getragen haben muss, denn als ich ihn frage, wie er nach dem Anschlag in den Alltag gefunden habe, antwortet er: «Wie fühlt sich dieser Ausnahmezustand an?»
Ihm ist aber auch bewusst, dass sich sein zweites Leben nicht vom Anschlag entkoppeln lässt. «Muss lernen, damit umzugehen», ein Satz, den Hashemi immer wieder sagt, wenn es um unverrückbare Tatsachen geht. Ein Satz, der ihn durch die vier Jahre nach dem Anschlag getragen haben muss, denn als ich ihn frage, wie er nach dem Anschlag in den Alltag gefunden habe, antwortet er: «Als wäre ich in eine fremde Welt geboren worden. Ich bin politischer unterwegs. Da hätte ich mich nie drinnen gesehen.»
Ihm ist aber auch bewusst, dass sich sein zweites Leben nicht vom Anschlag entkoppeln lässt. «Muss lernen, damit umzugehen», ein Satz, den Hashemi immer wieder sagt, wenn es um unverrückbare Tatsachen geht. Ein Satz, der ihn durch die vier Jahre nach dem Anschlag getragen haben muss, denn als ich ihn frage, wie er nach dem Anschlag in den Alltag gefunden habe, antwortet er: «Lernen, damit umzugehen» – das muss er auch, wenn er ständig an den Tatorten vorbeikommt. Am Heumarkt gegenüber vom Ladenlokal und am Kurt-Schumacher-Platz, wo er im Sommer mit den Kumpels trotzdem noch grillt. «Lass mir das nicht nehmen, auch wenn es mich triggert.» Viele Sachen würden ihn triggern. Dann beruhigt er sich. Vergegenwärtigt sich die Situation, ordnet ein. Lernt eben, damit umzugehen. Deshalb setzt er sich auch weiterhin in eine Bar. Das geht, aber er schaut, wo die Notausgänge sind. Sitzt nie mit dem Rücken zur Tür, den Eingang stets im Blick.
Mit Hanau fühlt sich Hashemi trotz des Anschlags noch verbunden. Als die Stadt Angehörigen anbot, sie bei einem Wegzug zu unterstützen, war für ihn klar: Niemals verlässt er Hanau. «Das ist mein Zuhause, vor allem Kesselstadt. Würde ich wegziehen, hätte der Täter geschafft, was er wollte. Aber das ist meine Heimat.»
Er ertappt sich da bei einer Art Lokalpatriotismus, die bei «Migrakids» verbreitet sei. Wenn die gefragt würden, aus welcher Stadt sie kommen, sagten sie «mit breiter Brust: Ich bin Frankfurter, Hanauer oder Offenbacher». Frage man sie, ob sie auch stolze Deutsche seien, bleibe die eindeutige Antwort aus, die Brust sinke. Für Hashemi ist es ähnlich: «Ich bin stolzer auf Hanau als auf Deutschland.»
Said Etris Hashemi, das zweitälteste von fünf Kindern, wächst in Kesselstadt auf, «in einem Afghanenblock», zu siebt leben sie in einer 70-Quadratmeter-Wohnung. Seine Eltern waren vom Bürgerkrieg in Afghanistan geflohen. Sein Vater schuftet in einer Reifenfabrik, seine Mutter sorgt für die Kinder. Die Eltern opfern sich auf, um ihren Kindern mit wenig Geld eine Zukunft zu ermöglichen. Geben ihnen mit: dankbar sein für dieses Leben, das man so in ihrer Heimat nicht hätte.
Said Etris Hashemi, das zweitälteste von fünf Kindern, wächst in Kesselstadt auf, «in einem Afghanenblock», zu siebt leben sie in einer 70-Quadratmeter-Wohnung. Seine Eltern waren vom Bürgerkrieg in Afghanistan geflohen. Sein Vater schuftet in einer Reifenfabrik, seine Mutter sorgt für die Kinder. Die Eltern opfern sich auf, um ihren Kindern mit wenig Geld eine Zukunft zu ermöglichen. Geben ihnen mit: Kesselstadt gilt heute in der Sprache der Behörden als «Problembezirk», wo Armut und Gewalt regieren. Trostlose Wohnblocks, in die man ab den 60er-Jahren die sogenannten Gastarbeiter verfrachtet hat.
Said Etris Hashemi, das zweitälteste von fünf Kindern, wächst in Kesselstadt auf, «in einem Afghanenblock», zu siebt leben sie in einer 70-Quadratmeter-Wohnung. Seine Eltern waren vom Bürgerkrieg in Afghanistan geflohen. Sein Vater schuftet in einer Reifenfabrik, seine Mutter sorgt für die Kinder. Die Eltern opfern sich auf, um ihren Kindern mit wenig Geld eine Zukunft zu ermöglichen. Geben ihnen mit: Als Kind spielt Hashemi im Hausflur seines Blocks Räuber und Polizei. In seiner Jugend dröhnt dort Musik von Haftbefehl oder Xatar, die seinem Leben, der Strasse eine Stimme gaben, wie Hashemi in seinem Buch schreibt. «Musik von Migranten für Migranten.»
Von den Älteren in der Nachbarschaft lernen er und seine Kumpels, Prügel einzustecken. Das soll sie für eine Welt aus Gaunern und Polizisten abhärten. Viele wollen weg aus Kesselstadt, schreibt Hashemi, doch lieben sie ihre Hood auch. Hashemi sagt: «Es ist auch Hassliebe. Familie gründen will dort niemand, aber wegziehen auch ungern. Man hängt an der Community. Bei aller Armut und Perspektivlosigkeit.» Er wohnt inzwischen nicht mehr in Kesselstadt, aber nur fünf Fahrminuten entfernt.
Schon in der Grundschule erfährt Hashemi Rassismus: Mitschüler rufen ihm das N-Wort nach, Lehrpersonen verdächtigen ihn, sobald es Ärger gibt oder etwas gestohlen wird. Die Eltern bläuen ihm ein: Bildung ist das Wichtigste. Du musst mit Leistung auffallen, doppelt so gut sein wie andere. Hashemi aber wird in der Schule zurückgestuft. Nicht wegen seiner Leistungen, sondern weil er Lehrpersonen widerspricht. In der Hauptschule, die in der Schweiz der Realschule entspricht, ist er nur von «Migrakids» umgeben und realisiert: Ich will mich rauskämpfen.
Schon in der Grundschule erfährt Hashemi Rassismus: Er schliesst die Berufsschule ab, macht Fachmatura, schuftet für den sozialen Aufstieg. Bin ich beruflich erfolgreich, denkt er, bin ich auch Teil dieser Gesellschaft. Mit zwanzig hat er sich zum Vertriebsleiter hochgearbeitet, studiert parallel Informatik, hat ein Auto, das alles stärkt sein Selbstbewusstsein. Er verfolgt Ziele, während manche Jungs aus seinem Block im Knast sitzen. Für das Frühjahr 2020 bekommt er eine Stelle bei einem Versicherungskonzern angeboten, die Geld und Aufstieg verspricht.
Schon in der Grundschule erfährt Hashemi Rassismus: Dann kommt der 19. Februar 2020.
Schon in der Grundschule erfährt Hashemi Rassismus: Der Bruder stirbt, Hashemi lebt
Schon in der Grundschule erfährt Hashemi Rassismus: Am 21. Februar 2020 erwacht Hashemi im Uniklinikum Frankfurt aus dem Koma. Er kann nicht sprechen, durch seinen Hals geht ein Intubationsschlauch. Der Täter hat ihm in den Hals geschossen und in die Schulter. Auf dem Muskel unter seiner Zunge liegen bis heute Splitter. Sie entfernen zu lassen, bärge das Risiko, dass Hashemi nicht mehr sprechen könnte. Also nimmt er in Kauf, dass er bei längeren Gesprächen undeutlich klingt.
Auf das Klemmbrett, mit dem er im Krankenhaus kommuniziert, schreibt er als Erstes: Nesar? Seine Eltern versichern ihm, er liege auch auf der Intensivstation. Er ahnt, dass sie ihn schonen.
Kurz darauf hört er im Krankenbett Radio. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier bekundet Worte der Trauer zum Anschlag, zählt die Namen der Verstorbenen auf. Hashemi hört den Namen seines Bruders: Said Nesar.
Kurz darauf hört er im Krankenbett Radio. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier bekundet Worte der Trauer zum Anschlag, zählt die Namen der Verstorbenen auf. Hashemi hört den Namen seines Bruders: Mit seinen Eltern spricht er zwei Wochen nach der Tatnacht ausführlich über das Geschehene. Ohnehin ist er mit einer Auskunftssperre abgeschirmt von der Aussenwelt. Einmal verlässt er das Krankenhaus unerlaubt. Zur Beerdigung seines Bruders.
Kurz darauf hört er im Krankenbett Radio. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier bekundet Worte der Trauer zum Anschlag, zählt die Namen der Verstorbenen auf. Hashemi hört den Namen seines Bruders: Der Bruder stirbt. Freunde sterben. Hashemi überlebt, schwer versehrt. Wie wird ein Mensch damit fertig?
Kurz darauf hört er im Krankenbett Radio. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier bekundet Worte der Trauer zum Anschlag, zählt die Namen der Verstorbenen auf. Hashemi hört den Namen seines Bruders:
Hashemi will alles mit sich selbst ausmachen. Im Krankenhaus bieten sich drei verschiedene Therapeuten an, mit keinem spricht er. Erst Wochen nach seiner Entlassung geht er zu einer Therapeutin. Auch nach zwei Jahren fühlt er sich dadurch nicht besser. Im Buch erzählt Hashemi, dass «dieser Psychologiefilm für viele Migranten sehr mystisch» ist. Auch bei seinem zweimonatigen Aufenthalt in einer Rehaklinik findet er keinen Zugang zur Therapie. Er denkt, sein Schmerz ist «zu gross für diesen Raum». Näher will er über die Therapie nicht sprechen. Er sagt einzig: «Therapie ist wichtig. Sie kann helfen. Mir hat sie bisher nicht geholfen.»
Hashemi will alles mit sich selbst ausmachen. Im Krankenhaus bieten sich drei verschiedene Therapeuten an, mit keinem spricht er. Erst Wochen nach seiner Entlassung geht er zu einer Therapeutin. Auch nach zwei Jahren fühlt er sich dadurch nicht besser. Im Buch erzählt Hashemi, dass «dieser Psychologiefilm für viele Migranten sehr mystisch» ist. Auch bei seinem zweimonatigen Aufenthalt in einer Rehaklinik findet er keinen Zugang zur Therapie. Er denkt, sein Schmerz ist «zu gross für diesen Raum». Näher will er über die Therapie nicht sprechen. Er sagt einzig: Halt findet er im Glauben, den er durch seine religiöse Erziehung verinnerlicht hat. Im Islam heisst es, der Tag, an dem ein Mensch stirbt, steht geschrieben. Dem unverrückbaren Schicksal entkommt man nicht. Dieser Gedanke tröstet Hashemi.
Nachdem er das Krankenhaus verlassen hat, will er unsichtbar sein, geht anfangs auch nicht zur «Initiative 19. Februar Hanau», bei der sich die Angehörigen regelmässig treffen. Erst als er die Polizeiakten sichtet, geht er hin. «Mir wurde klar: Sie wollen den Fall ohne Aufhebens abschliessen. Wir mussten an die Öffentlichkeit, um etwas zu bewegen», sagt er.
Nachdem er das Krankenhaus verlassen hat, will er unsichtbar sein, geht anfangs auch nicht zur «Initiative 19. Februar Hanau», bei der sich die Angehörigen regelmässig treffen. Erst als er die Polizeiakten sichtet, geht er hin. «Mir wurde klar: Eine Chronik des behördlichen Versagens
Nachdem er das Krankenhaus verlassen hat, will er unsichtbar sein, geht anfangs auch nicht zur «Initiative 19. Februar Hanau», bei der sich die Angehörigen regelmässig treffen. Erst als er die Polizeiakten sichtet, geht er hin. «Mir wurde klar: Im Laufe des Verfahrens bricht bei den Angehörigen das Vertrauen in die Behörden, die lückenlose Aufklärung versprochen hatten. Selbst in die höchste Instanz im Land, den Generalbundesanwalt. Niemand übernimmt Verantwortung für eine ganze Reihe von Akten des Versagens.
Nachdem er das Krankenhaus verlassen hat, will er unsichtbar sein, geht anfangs auch nicht zur «Initiative 19. Februar Hanau», bei der sich die Angehörigen regelmässig treffen. Erst als er die Polizeiakten sichtet, geht er hin. «Mir wurde klar: Dass ein psychisch und mit rechtsextremen Aussagen auffälliger Täter Waffen besass.
Nachdem er das Krankenhaus verlassen hat, will er unsichtbar sein, geht anfangs auch nicht zur «Initiative 19. Februar Hanau», bei der sich die Angehörigen regelmässig treffen. Erst als er die Polizeiakten sichtet, geht er hin. «Mir wurde klar: Dass der Notausgang in der Arena Bar verschlossen war – auf Geheiss der Polizei, wie sich herausstellen sollte, um Razzien zu erleichtern.
Nachdem er das Krankenhaus verlassen hat, will er unsichtbar sein, geht anfangs auch nicht zur «Initiative 19. Februar Hanau», bei der sich die Angehörigen regelmässig treffen. Erst als er die Polizeiakten sichtet, geht er hin. «Mir wurde klar: Dass der Notruf in der Tatnacht nicht funktionierte.
Die Initiative kämpft für einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss, der 2021 tatsächlich eingesetzt wird. Sie fordert: Erinnerung, Gerechtigkeit, Aufklärung, Konsequenzen. Hashemi ist mittendrin.
Die Initiative kämpft für einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss, der 2021 tatsächlich eingesetzt wird. Sie fordert: Inzwischen ist sein Engagement bei der Initiative für ihn wie ein Job neben seinem neuen Studium in Politikwissenschaften. Wöchentlich kommt er in dieses Büro im Ladenlokal, plant mit zwei Kolleginnen Termine für Veranstaltungen, Treffen mit Behörden und Organisationen, sie feilen an Strategien, an Reden. «Hier funktioniere ich rational. Wir haben in diesem Laden deutsche Geschichte geschrieben. Emotionalität kann ich mir hier nicht leisten.»
Die Initiative kämpft für einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss, der 2021 tatsächlich eingesetzt wird. Sie fordert: Die Initiative belegt in Kooperation mit Journalisten durch Recherchen, Leaks, Anzeigen behördliches Versagen. So etwa beim Notruf.
Die Initiative kämpft für einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss, der 2021 tatsächlich eingesetzt wird. Sie fordert: Bereits 2016 war nach einem Testlauf bekannt, dass bei Überlastung keine Weiterleitung erfolgt. «Der Polizeipräsident behauptete, er habe nichts davon gewusst», sagt Hashemi. «Dabei unterschrieb er damals das Gutachten, das genau dieses Problem festhielt. Als im Untersuchungsausschuss offensichtlich wurde, dass er gelogen hatte, schickten sie ihn in Rente. Konsequenzen folgten keine.»
Konsequenzen folgten auch nicht, als der Untersuchungsausschuss der Staatsanwaltschaft widersprach. Diese hatte ein Verfahren zum verschlossenen Notausgang wegen fahrlässiger Tötung eingestellt, mit der Begründung: Auch wenn sie offen gewesen wäre, hätte es keiner hinausgeschafft. Die Initiative liess das vom Recherchekollektiv Forensic Architecture prüfen. Anhand der Raumgrundrisse, von Bild- und Videomaterial rekonstruierten sie den Weg jeder Person zum Notausgang. Neun Sekunden hätten sie gebraucht. Die Erkenntnisse der Rechercheurinnen sind eindeutig: Hashemis Bruder und Hamza Kurtović hätten fliehen können.
Konsequenzen folgten auch nicht, als der Untersuchungsausschuss der Staatsanwaltschaft widersprach. Diese hatte ein Verfahren zum verschlossenen Notausgang wegen fahrlässiger Tötung eingestellt, mit der Begründung: Solche Beispiele gibt es einige. Hashemi hält sie in seinem Buch minutiös fest. Vorkommnisse wie diese wurden nach dreissig Sitzungen des Untersuchungsausschusses und einem Abschlussbericht mit 642 Seiten als Versäumnisse anerkannt, aber nicht als Fehler.
Konsequenzen folgten auch nicht, als der Untersuchungsausschuss der Staatsanwaltschaft widersprach. Diese hatte ein Verfahren zum verschlossenen Notausgang wegen fahrlässiger Tötung eingestellt, mit der Begründung: «Bei Fehlern müsste jemand die Verantwortung übernehmen», sagt Hashemi. «Will aber keiner. Weder die Bundesregierung noch das Land Hessen haben bisher ihre Bringschuld wahrgenommen. Der ehemalige Innenminister spricht noch immer von exzellenter Ermittlung.»
Konsequenzen folgten auch nicht, als der Untersuchungsausschuss der Staatsanwaltschaft widersprach. Diese hatte ein Verfahren zum verschlossenen Notausgang wegen fahrlässiger Tötung eingestellt, mit der Begründung: Wenn man nach so einer Tat nicht einmal den Gerichten, der Polizei trauen kann, wem dann?
Diese Frage treibt Hashemi um. Natürlich ist er immer wieder wütend, doch dann schaltet sich gleich sein Pragmatismus ein: «Wut bringt mich nicht weiter.»
Zu dieser Reihe von Versagen kommt der Umgang mit Angehörigen hinzu. Nach dem Anschlag am 19. Februar 2020 beispielsweise schickte die Stadt die Ausländerbehörde und eine Dolmetscherin zu den Angehörigen. Im Untersuchungsausschuss, erzählt Hashemi, hätten sie diese Absurdität angesprochen: «Wir sind in diesem Land geboren, hier zur Schule gegangen, sprechen Deutsch, haben einen deutschen Pass. Wozu die Ausländerbehörde?»
Ein FDP-Politiker habe geantwortet: Was ist falsch daran? War doch gut gemeint.
Ein FDP-Politiker habe geantwortet: Hashemi seufzt beim Erzählen. «Das sagt doch alles.»
Ein FDP-Politiker habe geantwortet: Noch schlimmer sei, dass in der Tatnacht dreizehn Polizeibeamte einer Spezialeinheit im Einsatz waren, gegen die wegen Volksverhetzung in Chatgruppen mit rechtsextremen Inhalten ermittelt wurde.
Als der damalige hessische Ministerpräsident Angehörige zum Gespräch in seinen Amtssitz lud, fragte Hashemi ihn: «Stellen Sie sich vor, ein Rassist schiesst auf Sie, Ihren kleinen Bruder, Ihre Freunde. Sie rufen die 110 und diese schickt weitere dreizehn Rechtsextreme. Wie wäre das für Sie?»
Der Ministerpräsident habe geantwortet: Das würde ja nicht bedeuten, dass sie ihren Job nicht gut machen.
Der Ministerpräsident habe geantwortet: «Wir haben in diesem Land ein Problem mit strukturellem Rechtsextremismus. Die Politik und die Behörden erkennen das noch immer nicht», sagt Hashemi.
Der Ministerpräsident habe geantwortet: «Ein paar tote Kanaken interessieren nicht»
Der Ministerpräsident habe geantwortet: Am Kurt-Schumacher-Platz in Kesselstadt hält der Bus vor einem Discounter. Gleich davor ist der Parkplatz, wo die Polizei Hashemi nach dem Attentat fand. Er lehnte an Vili Viorel Păuns Auto, der tot im Sitz lag. Păun hatte versucht, den Täter aufzuhalten. Ein Kreuz, Blumen, Kerzen gedenken Păuns und seiner Zivilcourage. Ebenso finden sich die Gedenktafeln wie am Tatort in der Innenstadt. Vom Parkplatz aus schaue ich auf den Wohnblock, wo sich im Erdgeschoss die Arena Bar und der Kiosk befanden. Jetzt ist ein Laden mit afghanischen Lebensmitteln drin.
Der Ministerpräsident habe geantwortet: Um die Ecke des Tatorts befindet sich ein Geschäft mit türkischen Lebensmitteln. Schrecklich, unfassbar, sagt eine Passantin, sie habe fast alle Opfer gekannt. Noch immer sitze der Schock in der Stadt tief. Sie selbst stammt aus Kosovo.
Der Ministerpräsident habe geantwortet: Dann unterbricht sie das Gespräch, um mich Hamza Kurtovićs Eltern vorzustellen, die gerade vorbeikommen. Hamza Kurtović starb in der Arena Bar mit Hashemis Bruder. Die Freunde sind nebeneinander begraben.
Der Ministerpräsident habe geantwortet: «Das Attentat ist schlimm genug. Das alles folgenlos bleibt, ist noch schlimmer», sagt Armin Kurtović. «Ein paar tote Kanaken interessieren nicht. Wir sind entbehrlich.»
Der Ministerpräsident habe geantwortet: Er zieht mich in den Laden. Über den mit Getreide, Olivenöl, Konserven gefüllten Regalen hängen Illustrationen der neun Verstorbenen.
Der Ministerpräsident habe geantwortet: «Schauen Sie», er zeigt auf das Bild von Hamza Kurtović, «mein Sohn ist gleich um die Ecke von einem Rassisten getötet worden. Jeden Tag komme ich hier vorbei.» Kurtović hatte nach dem Tod seines Sohnes in kurzen Abständen drei Schlaganfälle. Seine rechte Gesichtshälfte ist gelähmt, ebenso seine rechte Hand. Er kann nicht mehr arbeiten.
Als wir wieder draussen stehen, sagt er: «Mein Vater ist 1968 nach Deutschland gekommen. Ich bin 1974 hier geboren. Ich bin deutscher Staatsbürger. Meine Kinder sind hier geboren, aber wir bleiben Kanaken.» Dann wird er lauter: «Selbst ein Politiker im Untersuchungsausschuss sagte zu mir: Solange Sie diesen Nachnamen tragen, wird immer der Ausländerbeirat kommen. Sehen Sie? Das ist Deutschland!»
Als wir wieder draussen stehen, sagt er: «Hat die Initiative immerhin ein wenig gesellschaftlichen Wandel gebracht?», frage ich.
Als wir wieder draussen stehen, sagt er: «Rassismus ist in diesem Land tief verankert. Nicht einmal die Amerikaner haben es nach dem Zweiten Weltkrieg geschafft, ihn zu verbannen. Was soll die Initiative daran ändern können? Ich bitte Sie!»
Als wir wieder draussen stehen, sagt er: Armin Kurtović führt mich zur Blocksiedlung, unweit des Tatorts, wo die Familie seit zwanzig Jahren lebt. Er möchte mir etwas zeigen.
In seinem Wohnzimmer hängt über dem Sofa ein grosses Porträt seines verstorbenen Sohnes Hamza. Er zeigt aus dem Fenster auf die ebenerdigen Häuser gegenüber, bei einem bleibt er hängen, beschreibt es genauer. Dann sagt er: «Dort wohnte der Täter, sein Vater lebt noch dort. Manchmal sehe ich ihn spazieren.»
In seinem Wohnzimmer hängt über dem Sofa ein grosses Porträt seines verstorbenen Sohnes Hamza. Er zeigt aus dem Fenster auf die ebenerdigen Häuser gegenüber, bei einem bleibt er hängen, beschreibt es genauer. Dann sagt er: Der Vater des Täters in Sichtdistanz. Wie hält Kurtović das aus?
In seinem Wohnzimmer hängt über dem Sofa ein grosses Porträt seines verstorbenen Sohnes Hamza. Er zeigt aus dem Fenster auf die ebenerdigen Häuser gegenüber, bei einem bleibt er hängen, beschreibt es genauer. Dann sagt er: «Wie soll ich damit schon umgehen?», sagt Kurtović. «Sagen Sie es mir.»
Er holt tief Luft. «Was dieser Vater von sich gibt, ist schwer auszuhalten. Er nennt uns ‹wilde Fremde›», sagt Kurtović. «Die Polizei hat uns nie angeboten: Wir sind für Sie da, falls er Sie bedroht. Stattdessen sagte man uns nach dem Attentat, wir sollen keine Blutrache üben.»
Er holt tief Luft. «Was dieser Vater von sich gibt, ist schwer auszuhalten. Er nennt uns ‹wilde Fremde›», sagt Kurtović. «Die Polizei hat uns nie angeboten: Kurtović holt einen Ordner aus dem Schrank mit behördlichen Dokumenten. Belege der Nachlässigkeit.
Er holt tief Luft. «Was dieser Vater von sich gibt, ist schwer auszuhalten. Er nennt uns ‹wilde Fremde›», sagt Kurtović. «Die Polizei hat uns nie angeboten: Er zeigt mir das Protokoll der Vernehmung eines Zeugen, der einräumt, dass die Tatortaufnahme nicht gründlich erfolgte, weil der «Täter offensichtlich bekannt und tot war».
Er holt tief Luft. «Was dieser Vater von sich gibt, ist schwer auszuhalten. Er nennt uns ‹wilde Fremde›», sagt Kurtović. «Die Polizei hat uns nie angeboten: Er zeigt mir die Anordnung zur Obduktion seines Sohnes, über die sie die Polizei vorab nicht einmal informiert hatte.
Er zeigt mir die Beschreibung des Leichnams seines Sohnes: «orientalisch, südländisches Aussehen», steht da. Hamza Kurtović war blond und blauäugig. «Die dachten sich wohl: Beschreibe einen Kanaken aus der Shisha-Bar», sagt Kurtović.
Er zeigt mir die Beschreibung des Leichnams seines Sohnes: Auch er vermisst in der Aufarbeitung, dass Politik und Behörden Verantwortung übernehmen. Zuversicht findet Kurtović schwer, auch wenn er gesellschaftliche Solidarität spürt.
Said Etris Hashemi stärkt diese Solidarität. Am diesjährigen Jahrestag war er überwältigt von den Massen, die zur bundesweiten Kundgebung kamen. «Das motivierte mich von neuem. Ich dachte: Wer laut ist, sich einsetzt, bekommt Unterstützung», sagt er. Er ist stolz, dass die Initiative mit Kundgebungen, Publikationen, der Ausstellung «Three Doors», die aktuell und bis 1. September in Stuttgart zu sehen ist, darüber aufklärt, was wirklich in Hanau geschah; dass sie zeigt, «wie massiv die Bedrohung durch Rassismus» ist.
Said Etris Hashemi stärkt diese Solidarität. Am diesjährigen Jahrestag war er überwältigt von den Massen, die zur bundesweiten Kundgebung kamen. «Das motivierte mich von neuem. Ich dachte: «Wir leben in einer rassistischen Gesellschaft. Aber auch in einer solidarischen», sagt Hashemi. Dieser Gedanke hilft ihm, dass das Leben weitergeht, irgendwie.
Said Etris Hashemi stärkt diese Solidarität. Am diesjährigen Jahrestag war er überwältigt von den Massen, die zur bundesweiten Kundgebung kamen. «Das motivierte mich von neuem. Ich dachte: